Handy in der Hand, Herz außer Reichweite: Wie Phubbing die Beziehung zu unseren Liebsten belastet – und was du dagegen tun kannst
Phubbing – ein scheinbar harmloses Verhalten, das unsere Beziehungen belastet und sogar Babys unter Stress setzen kann. Warum wir immer wieder zum Smartphone greifen, welche Auswirkungen das auf Partnerschaften, Freundschaften und Eltern-Kind-Bindungen hat und welche Strategien du anwenden kannst um mehr Nähe und Achtsamkeit in dein Leben zu bringen.
DIGITALE BALANCE
Sarah Harms
11/19/20244 min read


Kennst du das? Du bist mit einem Freund im Café, erzählst gerade von einem aufregenden Erlebnis – und plötzlich greift er zum Smartphone, um eine Nachricht zu lesen. Oder du sitzt abends mit deiner Partnerin auf der Couch, ihr habt einen Film laufen, aber statt zuzuhören, scrollt sie durch Social Media. Und vielleicht hast du dich selbst schon dabei ertappt, wie du deinem Baby die Flasche gibst, aber mit halbem Auge auf das Handy starrst. Kommt dir eine dieser Situationen bekannt vor?
Willkommen in der Welt des Phubbing – einem scheinbar harmlosen Verhalten, das jedoch weitreichende Folgen haben kann. Lass uns eintauchen in die verschiedenen Facetten dieses Phänomens und sehen, was wir tun können, um bewusster miteinander umzugehen.
Was ist Phubbing – und warum tun wir es?
Phubbing ist die Mischung aus den englischen Wörtern „Phone“ (Telefon) und „Snubbing“ (Brüskieren). Es beschreibt das Verhalten, wenn Menschen ihre Gesprächspartner ignorieren, weil sie mit ihrem Smartphone beschäftigt sind. Es kann unbewusst passieren – durch die Gewohnheit, Benachrichtigungen oder Social Media Accounts zu checken – aber auch bewusst eingesetzt werden, um Gesprächen aus dem Weg zu gehen.
Unbewusstes Phubbing: Oft greifen wir zum Handy, ohne darüber nachzudenken. Ein kurzes „Ich schau nur schnell“ wird leicht zur Routine, die die Aufmerksamkeit aus dem Moment zieht.
Bewusstes Phubbing: Manchmal wird das Handy gezielt eingesetzt, um unangenehme Interaktionen zu vermeiden, z. B. bei Small Talk oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. Das Smartphone dient dann als sozialer Schutzschild.
Die unsichtbaren Kosten von Phubbing
Zwischen Erwachsenen: Beziehungen leiden
Studien zeigen, dass Phubbing Beziehungen auf allen Ebenen belastet. In Partnerschaften löst es oft Frust, Missverständnisse und das Gefühl der Zurückweisung aus. In einer Studie gaben über 22 % der Befragten an, dass Phubbing regelmäßig zu Konflikten in ihrer Beziehung führt. Freundschaften können ebenfalls darunter leiden, wenn eine Seite sich nicht genug wertgeschätzt fühlt.
Zwischen Eltern und Kindern: Fehlende Nähe
Kinder lernen durch Nachahmung. Wenn sie sehen, dass Mama und Papa ständig aufs Handy schauen, statt mit ihnen zu sprechen, interpretieren sie das als Norm. Langfristig kann das die Bindung zwischen Eltern und Kindern schwächen und bei den Kindern ein gestörtes Verständnis von Aufmerksamkeit und Nähe fördern.
Für Babys: Stress durch fehlende Interaktion
Besonders gravierend sind die Auswirkungen von Phubbing auf Säuglinge. Babys brauchen Mimik und Gestik ihrer Eltern, um soziale Interaktion zu lernen und zu verstehen. Wenn der Papa auf sein Smartphone schaut während er die Flasche gibt oder die Mama gerade nochmal Instagram öffnet, während Baby seine erste Drehung versucht, fehlen diese nonverbalen Signale. Studien belegen, dass Babys in solchen Situationen Stress zeigen, gemessen an einer erhöhten Herzfrequenz. Langfristig kann dies die Bindungsentwicklung beeinträchtigen.
Warum passiert das so oft?
Phubbing ist in den meisten Fällen keine bewusste Absicht, jemanden zu ignorieren oder zu verletzen. Vielmehr ist es oft das Ergebnis tief verankerter Gewohnheiten und der gezielten Mechanismen, die in der Technologie integriert sind, um unsere Aufmerksamkeit zu fesseln. Diese Mechanismen, gepaart mit sozialen und psychologischen Faktoren, machen es schwer, das Smartphone beiseite zu legen – selbst in Momenten, in denen wir eigentlich voll präsent sein sollten.
Ein zentraler Faktor sind die Suchtmechanismen, die viele Apps und Plattformen nutzen. Push-Benachrichtigungen, Likes und Kommentare sind so gestaltet, dass sie unser Belohnungszentrum im Gehirn aktivieren. Jedes Mal, wenn das Handy vibriert oder ein Symbol aufleuchtet, schüttet unser Gehirn Dopamin aus – das Glückshormon, das uns ein kurzes Hochgefühl gibt. Dieses Prinzip, vergleichbar mit dem von Spielautomaten, führt dazu, dass wir immer wieder zum Smartphone greifen, auf der Suche nach der nächsten kleinen Dosis positiver Bestätigung.
Ein weiterer treibender Faktor ist die sogenannte FOMO, die „Fear of Missing Out“. Die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen – sei es eine Nachricht, ein Social-Media-Trend oder eine spontane Einladung – hält viele Menschen in einem Zustand ständiger Erreichbarkeit. Besonders soziale Medien verstärken diesen Druck, immer „auf dem Laufenden“ zu sein. Für viele ist der Gedanke, einen wichtigen Moment zu verpassen, so unangenehm, dass sie das Handy reflexartig checken – auch wenn es die aktuelle Interaktion unterbricht.
Hinzu kommt, dass der Griff zum Smartphone für viele Menschen längst automatisiert ist. Es ist eine Gewohnheit geworden, die oft ohne bewusste Reflexion abläuft. Das Smartphone liegt immer in Reichweite, und sobald es ruhig wird oder wir einen Moment der Langeweile verspüren, greifen wir danach. Diese unbewusste Routine führt dazu, dass wir uns oft nicht einmal bewusst sind, wie häufig wir das Gerät nutzen – und welche Auswirkungen das auf unsere Umgebung hat.
Diese Kombination aus neurologischen, sozialen und verhaltensbasierten Faktoren macht Phubbing zu einem weit verbreiteten Phänomen. Umso wichtiger ist es, diese Mechanismen zu verstehen und Wege zu finden, ihnen entgegenzuwirken – sei es durch bewusste Reflexion, technische Hilfsmittel oder das Etablieren neuer Gewohnheiten.
Wie kann man Phubbing vermeiden?
Das Gute: Phubbing ist kein unausweichliches Phänomen. Mit etwas Bewusstsein und den richtigen Strategien kannst du das Verhalten bei dir selbst und deinem Umfeld reduzieren.
Schaffe smartphone-freie Zeiten und Zonen
Führe Handy-freie Zonen in deinem Zuhause ein, z. B. beim Esstisch, im Schlafzimmer oder während des Spielens mit deinen Kindern. Nutze eine dekorative Box, in die alle Familienmitglieder ihre Smartphones legen – und mach es zu einem Ritual.Lerne bewusste Nutzung
Setze dir feste Zeiten, zu denen du dein Smartphone aktiv nutzt, und nutze den Rest des Tages bewusst offline. Apps wie "StayFree", "One Sec" oder "Ascent" helfen, Nutzungszeiten einzuschränken.Erschaffe Handy-freie Alternativen
Entwickle Rituale, die von digitaler Technologie unabhängig sind und lass das Smartphone bewusst Zuhause: Wie wäre es mit einem Sonntagsspaziergang auf den Spielplatz ohne Handy? Besonders bei Kindern fördert das stärkere Bindungen.Sprich über Phubbing in deinem Umfeld
Thematisiere das Verhalten offen und freundlich. Vereinbart gemeinsam Regeln oder macht sogar eine kleine Challenge daraus, z. B. „Wer zuerst während eines Restaurantbesuches aufs Smartphone schaut, zahlt das Essen.“ Dies kann helfen, die Gewohnheiten aller zu verändern.Belohnungssystem für Freunde und Familie
Etabliere spielerische Belohnungen: Nach einer Woche ohne Smartphone beim Abendessen gibt es einen Familienausflug ins nächstgelegene Erlebnisbad (hier darf man ohnehin kein Smartphone nutzen). Diese kleinen Anreize motivieren und stärken den Zusammenhalt.
Fazit: Mehr Herz, weniger Bildschirm
Phubbing mag wie ein kleines Vergehen wirken, doch seine Auswirkungen auf Beziehungen – ob mit Partnern, Freunden oder Kindern – sind weitreichend. Bewusster Umgang mit Technologie ist der Schlüssel, um unsere zwischenmenschlichen Verbindungen zu stärken und gesunde Vorbilder für die nächste Generation zu sein. Es beginnt mit kleinen Schritten – und einem klaren Blick auf das, was wirklich zählt: die Menschen, die direkt vor uns stehen.